Michelle ist in Dortmund aufgrund seiner unkonventionellen Erscheinung und seines exzentrischen Auftretens ein stadtbekannter Mythos, und als dieser erregte er auch das Interesse der Fotografin. Ihren anfänglichen Bemühungen, jenseits seiner Selbstinszenierungen ein authentisches Portrait von ihm anzufertigen, begegnete Michelle mit zweifelhaften Lügengeschichten und übertriebenem Posieren vor der Kamera. Die Fotografin hielt jedoch an ihren Vorstellungen fest und versuchte, seine Posen durch Anweisungen zu korrigieren. Dies führte aber nicht zum gewünschten Ergebnis, da sich Michelles Unmut gegenüber ihren Instruktionen in einer verkrampften Körpersprache bemerkbar machte.
So entwickelte sich die Portraitsituation zu einem Machtkampf, der bei jedem Treffen erneut ausgefochten wurde. Mit der Zeit erkannte die Fotografin in Michelles Selbstinszenierungen einen Akt der Selbstermächtigung des Portraitierten über sein eigenes Bild und in seinen Posen die Instrumentalisierung bestehender Konventionen und Codes, die es ihm ermöglichten, seine eigene Auslegung der Realität vor der Kamera zum Ausdruck zu bringen. Michelle am fotografischen Prozess zu beteiligen und seine Selbstdarstellungswünsche Teil der Arbeit werden zu lassen, ist demnach mit einem Erkenntnisgewinn verbunden und bereichert das Portrait, das von ihm aufgezeigt wird, um seine eigene subjektive Sichtweise. In Zusammenarbeit zwischen Fotografin und Modell entstanden so die Bilder, die den Kern der Arbeit ausmachen, und den Repräsentationsvorstellungen des Portraitierten nachkommen. Dem werden die anfänglichen Portraits, die den darstellerischen Absichten der Fotografin entsprechen, gegenübergestellt.
In einem geschlossenen Kontext präsentiert, stellen sich die bei den Portraitvarianten gegenseitig in Frage. Da sie die gleiche Person zeigen, entlarven sie die Inszenierung der jeweils anderen.
Kunst-/Fotoband, 25 × 30 cm, 52 Seiten (2011)