Xenie ist ein Mann aus Pagosa Springs, Colorado. Seit 1987 fotografiert er jeden gefangenen Fisch. Nach jedem Foto lässt er den Fisch wieder frei. Heute hat er mehr als 30.000 Fotos, die er bei sich zu Hause in Schuhkartons lagert. Im Oktober 2013 hat Benedikt Bock Xenie in Colorado besucht, sein Archiv eingehend gesichtet und einen erheblichen Teil gescannt. Dazu hat er sich auf die etwa 20.000 Fotografien konzentriert, die an Flüssen und Seen in Colorado entstanden sind und auf denen Xenie selbst abgebildet ist.
Ich sehe zwei Fotografien. Beides sind Querformate.
Auf dem oberen Bild sehe ich einen Mann, der in der rechten Bildhälfte kniet. Währenddessen hält er einen Fisch in seiner rechten und eine Angelrute in seiner linken Hand. Er befindet sich im Vordergrund des Bildes. Der Mann nimmt die gesamte Höhe des Bildes ein. Dabei werden Stellen seines Körpers wie das linke Knie, das Hinterteil, Ellenbogen und Schulter seines linken Armes und vor allem der Kopf vom Bildrand beschnitten. Der Kopf wird so stark beschnitten, dass nur Mund und Kinn zu sehen sind – der Mund ist auf eine Art geöffnet, als würde die Person schreien. Der Mann trägt einen hellbraunen Pullover und eine abgewetzte dreckige Jeans. Sein Körper stützt auf seinem linken Knie, das rechte Knie ist angewinkelt. Seine linke Hand hält die Angelrute oberhalb der Rolle auf Höhe der Brust. Von der Rolle geht eine beige gefärbte, gut sichtbare Schnur aus. Die Angel ragt am linken oberen Rand aus dem Bild heraus. Sie ist vermutlich nur zu einem Drittel abgebildet. Der rechte Arm des Mannes ist in die Bildmitte gerichtet. Der Fisch liegt gebogen in der Hand und ist von der Bauchseite zu sehen. Vier Finger umgreifen seinen Bauch.
Die Flanke schimmert gelblich und ist mit dunklen Punkten gemasert. Der Fisch befindet sich fast in der Bildmitte. Links neben dem Mann ist der Boden mit faustgroßen rundgewaschenen Steinen bedeckt. Er kniet am Ufer eines Flusses. Auf den Steinen ist sein langer Schatten zu sehen. Das Ufer nimmt fast die gesamte linke untere Bildhälfte ein. Dahinter ist der Fluss zu erkennen, der von der linken Bildseite zur rechten unteren Bildecke breiter wird. Dort, wo der Fluss im Bild hauptsächlich sichtbar wäre, ist er durch den Mann verdeckt. Der Hintergrund ist zweigeteilt und fast ausschließlich in der linken Bildhälfte zu sehen. Im vorderen Teil sehe ich das andere Ufer des Flusses, das bewachsen und bewaldet ist. Zwei blätterlose Bäume ragen schräg über den Fluss. Im hinteren Teil befindet sich eine rot-braune Felswand, die an zwei Stellen mit dunkelgrünen Bäumen bedeckt ist. Der Fels wird von der oberen linken Bildkante beschnitten. Über der Felskante ist ein Teil blauen Himmels zu sehen. Die Sonne sorgt für hartes Licht, das im Vordergrund tiefe präzise Schatten zeichnet. Der Hintergrund ist weich unscharf, der Vordergrund eindeutig und scharf. Insgesamt wirkt das Bild farblich sehr homogen und bewegt sich hauptsächlich zwischen hellen Braun- und Grün-Tönen. Lediglich der Himmel und die Jeans des Mannes stechen blau hervor. Die Kamera, die das Bild aufgenommen hat, befindet sich leicht erhöht auf dem Boden und vermutlich ist das Foto mittels Selbstauslöser entstanden. Die Körperhaltung des Mannes wirkt, als wäre er vom Auslöser der Kamera überrascht.
Auf dem unteren Bild sehe ich einen Mann, der in der Bildmitte auf dem Boden sitzt. Währenddessen hält er einen Fisch in seiner rechten und eine Angelrute in seiner linken Hand. Er befindet sich im Vordergrund des Bildes. Der Mann nimmt fast die gesamte Höhe des Bildes ein. Dabei werden Stellen seines Körpers, seine Unterschenkel und Füße; und auch ein Teil seiner linken Hand vom rechten unteren Bildrand beschnitten. Er neigt seinen Oberkörper, etwas gebückt, zu seiner rechten Seite. Der Mann trägt einen hellbraunen Pullover und eine abgewetzte, dreckige Jeans. Der Pullover ist mit einem Reißverschluss bis zur Brust geöffnet, so dass der Kragen eines dunkelgrauen T-Shirts sichtbar wird. Sein Körper stützt auf seinem rechten, angewinkelten Bein – das linke Bein ragt halb gestreckt aus dem Bild hinaus. Seine linke Hand hält die Angelrute auf Höhe der Hüfte neben seinem Körper. Zwischen Daumen und Zeigefinger verläuft eine beige gefärbte, gut sichtbare Schnur, die locker unterhalb der Rute hängt und leicht seine Beine berührt. Die Angel ragt am linken Rand aus dem Bild hinaus. Der Mann greift sie so, dass sie vor ihm fast horizontal durch das Bild führt. Sie ist vermutlich zur Hälfte abgebildet. Vom rechten Arm ist lediglich der Ellenbogen zu sehen, der im Schatten auf seinem rechten Knie stützt. Der Fisch liegt gebogen in der Hand. Er wird so gehalten, dass seine Flanke gut sichtbar ist. Der Kopf des Fisches ist dabei zur linken Bildseite ausgerichtet. Vier Finger greifen den Fisch am Bauch. Dabei wird der Bauch durch den Griff eingedrückt. Der Fisch wird, etwas vom Körper des Mannes entfernt, der Kamera entgegengestreckt. An der Flanke des Fisches ist ein leicht rosafarbener Streifen zu erkennen. Hinter den Kiemen befindet sich ein roter Fleck und über der gelblich schimmernden Haut ist der Fisch mit schwarzen Punkten gemasert. Es handelt sich um eine Regenbogenforelle. In der oberen Bildmitte sehe ich den Kopf des Mannes, der mich nahezu frontal anschaut. An den Wangen und am Kinn ist er leicht unrasiert. Die Haare am Kinn etwas gräulich. Der Mund ist zu einem Lächeln geöffnet und seine Zähne sind sichtbar. Darüber trägt er einen dichten, braunen Bart. Seine große Brille sitzt etwas schief. Die braunen, lockigen Haare reichen an den Seiten über seine Ohren. Das restliche Haar liegt. Ich vermute, dass er bis vor kurzem noch eine Kopfbedeckung getragen hat. Ich schätze den Mann auf Anfang Vierzig. Links neben ihm ist der Boden mit faustgroßen rundgewaschenen Steinen bedeckt. Der Mann kniet am Ufer eines Flusses. Auf den Steinen ist sein langer Schatten zu sehen. Das Ufer nimmt fast die gesamte linke untere Bildhälfte ein. Dahinter ist der Fluss zu erkennen, der von der linken Bildseite zur rechten unteren Bildecke breiter wird. Dort, wo der Fluss im Bild hauptsächlich sichtbar wäre, ist er durch den Mann verdeckt. Der Hintergrund ist zweigeteilt und fast ausschließlich in der linken Bildhälfte zu sehen. Im vorderen Teil sehe ich das andere Ufer des Flusses, das bewachsen und bewaldet ist. Zwei blätterlose Bäume ragen schräg über den Fluss. Rechts weisen kahle Bäume auf das Ufer hin. Durch die Bäume kann ich die grün-braune Silhouette eines Hügels erkennen. Im hinteren Teil befindet sich eine rot-braune Felswand, die an zwei Stellen mit dunkelgrünen Bäumen bedeckt ist. Der Fels wird von der oberen linken Bildkante beschnitten. Über der Felskante ist ein Teil blauen Himmels zu sehen, der bis zur rechten Bildkante reicht. Die Sonne sorgt für hartes Licht, das im Vordergrund tiefe präzise Schatten zeichnet. Der Hintergrund ist weich unscharf – der Vordergrund eindeutig und scharf. Insgesamt wirkt das Bild farblich sehr homogen und bewegt sich hauptsächlich zwischen hellen Braun- und Grün-Tönen. Lediglich der Himmel und die Jeans des Mannes stechen blau hervor. Die Kamera, die das Bild aufgenommen hat, befindet sich leicht erhöht auf dem Boden und vermutlich ist das Foto mittels Selbstauslöser entstanden. Die Körperhaltung des Mannes wirkt geplant und absichtsvoll. Er posiert.
Ich sehe also zwei Fotografien, auf denen dieselbe Person, am selben Ort – ungleich – zusammen mit einem Fisch in der Hand, abgebildet ist. Das obere Foto – für sich allein gesehen – sagt mir nicht klar, wie ich die abgebildete Situation einschätzen oder interpretieren soll. Das untere Foto erfasse ich sofort: Dieser Mann hat mit dieser Angel soeben an diesem Ort diesen Fisch gefangen. Ich sehe ein typisches fishing-picture.
Ich definiere das fishing-picture wie folgt: Das fishing-picture ist dem Bereich der Jagd-Fotografie zuzuordnen. Es ist das dauerhaft festgehaltene Zeugnis des Jagderfolges. Meist handelt es sich um Amateuraufnahmen, die vom Angler (Jäger) selbst hergestellt werden. Dazu präsentiert sich der Angler selbst mit dem Fisch. Der Fisch kann zur Zeit der Aufnahme tot oder lebendig sein. Das Foto dokumentiert damit also nicht die Handlung des Fischens, sondern zeigt dem Betrachter das Ergebnis der Handlung – den gefangenen Fisch. Innerhalb dieses Bildes gibt es dazu diverse Orte und Präsentations-Posen. Das fishing-picture ist eine Fotografie, die als Trophäe, Beweis und oder Mittel der Selbstdarstellung dienen kann. Aus der Gegenüberstellung der beiden beschriebenen Fotografien kann ich schließen, dass die Kamera eine entscheidende Rolle spielt. Über ihren tiefen Standpunkt und die Selbstauslöser-Funktion bestimmt sie maßgeblich das Bild. Die kniende Pose folgt also den Möglichkeiten, die die Kamera vorgibt. Das obere Bild verrät dabei, dass die Handhabung des Selbstauslösers nicht ganz unproblematisch ist, während man einen vermutlich noch lebendigen Fisch und eine Angelrute in der Hand hat. Trotz des festen Standpunktes der Kamera erfordert die Situation eine spontane Handlung, die in einem kurzen, durch den Auslöser begrenzten Zeitraum, passieren muss. Man könnte dieses Bild sicherlich auch anders machen – aber es scheint hier wichtig zu sein, dass es in diesem Moment genau so passiert. Das heißt: dieser Mann hat die Entscheidung getroffen, sich in diesem Moment, in dieser Art, selbst zu fotografieren. Das ist die Idee einer Selbstinszenierung. Er setzt sich mit den ihm gegebenen Möglichkeiten – Ort, Fisch, Licht, Selbstauslöser – in Szene. Wenn ich mir aus diesem Gedanken heraus das obere Bild noch einmal genau anschaue und mir vorstelle, in welcher Körperhaltung die Bewegung des Mannes enden könnte, wird sie wohl der Pose des unteren Bildes gleichen. Die Rute befindet sich bereits in seiner linken Hand, der Fisch liegt schon in seiner rechten und gleich wird er sich wahrscheinlich so auf das rechte Bein stützen, dass sich dann auch sein Kopf im Fokus der Kamera befindet. Es ist ein missglückter Versuch bei dem die Idee dieser bestimmten Pose schon vorher feststand. Damit gibt das Bild auch maßgeblich Auskunft darüber, wie das fertige, zufriedenstellende Bild auszusehen hat. Der missglückte Versuch und die Wiederholung der gleichen Inszenierung zeigen den Versuch, ein ganz bestimmtes Bild werden zu wollen. Der Fisch wird innerhalb des Bildes zum Objekt. Der Mann arbeitet also aktiv an der Herstellung dieses Bildes – an seiner Pose, Mimik und Gestik und geht dieser Arbeit, mit dem Versuch im nächsten Bild exakt die gleiche Pose einzunehmen, weiter nach. Es ist nicht nur die Suche nach einer eigenen Form des fishing-picture, sondern vor allem die Wiederholung eines Selbst-Portraits in einem für die Person idealen und inszenierten Moment.