Anja Arndt & Michael H. Kelleners

Die Quadratur der Bilder

Die Bildarchive von Instagram haben sich in wenigen Jahren zu einem Reiseführer der digitalen Gegenwart entwickelt, der neue Zielgruppen anspricht, neue Kommerzialisierungen oder auch neue Arten des Reisens ermöglicht, und der als Kollateralschaden des Massentourismus‘ das Bild der Welt verändert hat. Ein Exkurs.

Mobile Endgeräte ermöglichen kontinuierlichen Internetzugang. Unterwegs und trotzdem online, und was unterwegs geschieht, wird gepostet, getwittert und geteilt, was die Daten-Flatrate hergibt.

Plattformen und Kanäle gibt es dafür zur Genüge. So wie Instagram. Die App hat es geschafft, seit ihrem Launch 2010 stetig zu wachsen. Eine Erfolgsgeschichte, nicht erst seit dem Kauf durch Facebook im Jahr 2012. Damals gab es 30 Mio. Nutzer – heute sind es weltweit 800 Mio., davon nutzen 500 Mio. das Netzwerk täglich. Ein rasantes Wachstum, das sich mit der einfachen und intuitiven Nutzerführung oder der Möglichkeit der Verknüpfung mit anderen sozialen Netzwerken, vor allem aber mit den berüchtigten Fotofiltern erklären lässt. Instagram lässt sich auf neue Ideen ein, setzt aber klare Grenzen. Die Nutzer beeinflussen zwar das Konzept, doch nur bis zu einem gewissen Grad. So ermöglicht etwa die Desktop-Version keinen Upload von Bildern. Hierfür muss man sich Apps oder Plug-Ins von Drittanbietern zulegen und mit Zusatzkosten oder (noch mehr) Werbung rechnen.

Dabei hatte alles so harmlos angefangen. Junge Menschen hatten den Retro-Trend und damit Polaroid-Kameras und abgelaufene Film-Kassetten für sich entdeckt. Da war es nur eine logische Folge, dass eines der vielen Start-Up-Duos der 2010er Jahre den Trend nutzte: Smartphone zücken, 5 Megapixel-Foto aufnehmen, Filter drüber, fertig ist das schöne Retro-Foto. Und die Nutzer verlangten schnell mehr vom Augenzucker aus der immens schnell wachsenden Datenbank.

GLOBETROTTER Wem es wichtig erscheint, der kann heute die exotischsten Orte der Welt selbst bereisen, und der in den letzten Jahrzehnten explodierte Massentourismus hat nicht nur negative Auswirkungen auf die Umwelt insgesamt und die Flora und Fauna der entsprechend beliebten Reise- und Urlaubsgebiete. Auch die Wahrnehmung der Welt verändert sich. Man überlegt sich, dass man ja schnell noch mal diese oder jene Landschaft bereisen sollte, bevor die ganzen Jack-Wolfskin-Globetrotter das letzte Sumpfdotterblümchen platt getreten haben. Also schnell #lonelyplanet checken, welches Bild bestimmt noch schöner, noch imposanter und wesentlich authentischer hinzubekommen wäre. Die Beiträge bei Instagram selbst zeigen, wie bestimmte Regionen vom Boom des „da war ich auch“-Lifestyles profitieren. Oder eben auch nicht. Sind es doch gerade Länder wie Island, die für Fotografen besonders wegen der Einsamkeit und kargen Landschaft reizvoll waren. Jetzt ist es auch dort zur Herausforderung geworden, ein menschenleeres Bild von Geysiren zu machen, und 2016 überlegte man schließlich, den Tourismus dort zu begrenzen. Weil sonst vielleicht bald nichts mehr übrig ist, was sich zu fotografieren lohnte.1http://www.spiegel.de/reise/europa/viele-islaender-fuerchten-tourismus-ueberdosis-a-1118655.html [02.11.2017]Die Proteste der Anwohner in touristisch beliebten Städten wie Barcelona, Lissabon oder Berlin formieren sich. Plattformen wie Airbnb, über die sich Wohnraum erheblich rentabler vermarkten lässt, verändern ganze Stadtbezirke.2http://www.augsburger-allgemeine.de/panorama/Tourist-go-home-Proteste-in-Spanien-werden-aggressiver-id42278871.html [02.11.2017]

Filtergalerie Soca Tal, Romina Uhrlau / cahiers

DAS HASHTAG MACHT DEN UNTERSCHIED Die Reisefotografie auf Instagram deckt sehr gut den hohen Bedarf an schnellen, präzisen, simpel strukturierten Informationen in visueller Form. Es geht nicht um Authentizität, sondern um Identität und Zugehörigkeit. Diese entsteht durch das Vergeben von Hashtags. Genau wie Interessen und Meinungen, ändern sich die populärsten Rauten beinahe täglich. Alle fotografischen Genres werden dabei abgedeckt. Das wiederum, könnte man denken, hilft sogar Verlagen und Bildagenturen bei der Recherche nach neuem, unbekannten Content. Die Kontrolle liegt allerdings beim Nutzer und dieser verwendet seine Schlagworte nicht immer wie ein Profi. Trotzdem ist gerade unter dem Hashtag „Reise“ oder „Travel“ ein so breit gefächertes Angebot an Bildern zu finden, dass Instagram den klassischen Reiseführer zu ersetzen scheint. Insbesondere für jüngere Menschen ist diese Art von Informationsbeschaffung viel zugänglicher und direkter.

Nicht überraschend, dass die Marketing-Welt den Trend für sich entdeckte und Influencer suchte oder erkor. Diese wiederum stehen unter dem Druck, sich voneinander abzuheben. Angesagt sind #nofilter und Bilder aus der 5D Mark III. Limitierung ist aber weiterhin beliebt, sogar selbst auferlegte. So entschied sich Reise-Fotograf Kevin Russ offenbar bewusst für eine Beschränkung der Veröffentlichung seiner Bilder auf Instagram und hatte noch lange Zeit nach seinem Erfolg keine eigene Internetseite, sondern nur seinen Instagram-Account als Repräsentation seiner Arbeiten.

THE AGORAPHOBIC TRAVELLER Jess Last und Charlie Wild von the.travel.project haben ihre Jobs in der Werbebranche aufgegeben, um sich von ihren Followern durch die Welt leiten zu lassen, und bilden mit ihrem Instagram-Kanal einen Reiseführer in Blog-Form.3www.independent.co.uk/travel/this-couple-spent-6-months-going-to- under-the-radar-destinations-using-instagram-as-a-guide-a7735271.html [02.11.2017]Seit dem 10.000sten Follower finanzieren Sponsoren und Tourismus-Verbände die Reisen.

Wenn es darum geht, kommerziellen Erfolg mit einem Instagram-Account zu erringen, ist der Einfallsreichtum der Instagrammer nahezu grenzenlos. So ist es nun auch Menschen möglich, die Welt zu bereisen, denen es bislang verwehrt war physisch das Haus zu verlassen. The agoraphobic traveller heißt der Kanal der Londonerin Jacqui Kenny, die laut eigener website an Agoraphobie leidet. Sie nutzt die Daten von Google Street View um ihren Instagram Account zu füttern. Für 25 £ verkauft sie Abzüge davon auf ihrer Internetseite, mit der Genehmigung von Google und der Prämisse, dass 10£ davon an eine gemeinnützige Organisation gehen.

Es geht um Rückmeldung, Beifall oder einfach nur Aufmerksamkeit. Das war vermutlich bereits die Motivation bei der altbewährten Reise-Dia-Show vor Freunden, Bekannten oder gar völlig Fremden.

Immer und überall sein zu können, dieses Gefühl der Freiheit, ist ein Stück Zeitgeist. Wie oft hört man von Menschen, die nach NYC gereist sind, dass alles direkt so vertraut gewesen sei. Die Erklärung für das Phänomen ist trivial: Es ist tatsächlich vertraut, denn Bilder prägen sich ein, insbesondere dann, wenn diese eine Emotionalität suggerieren. Das versucht auch Instagram. Alles ist gleich – und doch wieder auch nicht. Das hat die Plattform auch erkannt und durch „Storys“ das Persönlichkeitspuzzle erweitert.

Auch der Mittdreißiger Jon Rafman aus Kanada weiß das Material aus den Tiefen des Internets für seine Werke zu nutzen. Google Street View und Second Life werden von ihm erforscht wie unbekannte Landschaften.4Dante im Darknet, Kolja Reichert, FAQ Ausgabe 05, Winter 2017

Die Zukunft des Reisens beeinflusst die Zukunft der Reisefotografie. Wenn man in kommenden Jahrzehnten durch virtuelle Welten streift wie Rafmans Google-Earth-Tiger über einsame Parkplätze, wird man Szenerien entdecken, die man sich in den kühnsten Träumen nicht vorstellen konnte, weil sie aus den Träumen anderer erschaffen wurden.

Die Frage bleibt also weiterhin: „Wohin geht die Reise?“, und es bleibt auch das Staunen über die Souvenirs, die von digitalen Exkursionen mitgebracht werden. Der Reisende bestimmt die Route, der Fotograf den Ausschnitt.

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    http://www.spiegel.de/reise/europa/viele-islaender-fuerchten-tourismus-ueberdosis-a-1118655.html [02.11.2017]
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    http://www.augsburger-allgemeine.de/panorama/Tourist-go-home-Proteste-in-Spanien-werden-aggressiver-id42278871.html [02.11.2017]
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    www.independent.co.uk/travel/this-couple-spent-6-months-going-to- under-the-radar-destinations-using-instagram-as-a-guide-a7735271.html [02.11.2017]
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    Dante im Darknet, Kolja Reichert, FAQ Ausgabe 05, Winter 2017