Hamon Nasiri Honarvar

editorial II

VOM EINSAMEN REISEN UND DEM FLUCH DER SCHNELLEN ÖFFENTLICHKEIT

„Wo die Einsamkeit aufhört, da beginnt der Markt; und wo der Markt beginnt, da beginnt auch der Lärm der großen Schauspieler und das Geschwirr der giftigen Fliegen.“1Nietzsche, Friedrich: Also sprach Zarathustra. – Von den Fliegen des Marktes, in: KGW VI 1, S. 61, schrieb schon Friedrich Nietzsche im 19. Jahrhundert. Sein Umgang mit dem Begriff der Öffentlichkeit wurde von erkennbaren Grundsätzen geleitet. So hinterfragte er immer wieder die Funktions- und Wirkungsweise des Öffentlichen aus der Sicht der Beteiligten und Betroffenen.2Die Unterscheidung formulierten Wilson, Francis G.:, in: A Theory of Public Opinion, 1962, S. 276 und Braatz Kurz, in: Friedrich Nietzsche Eine Studie zur Theorie der Öffentlichen Meinung, S. 58 ff.

Als Alexander von Humboldt 1799 seine erste Expedition nach Südamerika antrat, gab es weder Telegramme noch Telefongeräte. In tropischer Umgebung erkundete er fünf Jahre lang die Tiefen des unbekannten Amazonas – beobachtet von indigenen Völkern – stets staunend, malend, aufzeichnend bis ins feinste Detail und gleichzeitig voller Ungewissheit, ob und wann er zurückkehren würde.3Eibach, Joachim, Tasten und Testen: Alexander von Humboldt im Urwald, in: Zeitenblicke 11, Nr. 1

Heutzutage stehen die Dokumentarfotografen im ständigen Austausch mit ihren Fans. Sie teilen ihre Projekte manchmal fragmentarisch, häufig sequentiell, oft unmittelbar mit der fotografisch übersättigten Gesellschaft.4Steve McCurry wird mit über 1,8 Millionen Followern beschrieben: Backhaus, Anne: Zu schön, in: Süddeutssche Zeitung, 16.12.2016Für den Betrachter verschwimmt dabei die Grenze zwischen Dokumentation und Fiktion.

So werden die Mühen und der Weg bis zum fertigen Bild kaum kommuniziert, und die Wahrnehmung der wesentlichen Züge einer fotografischen Serie wird häufig nur auf die visuelle Außenwirkung und die reine Funktionalität reduziert. Der Veröffentlichungszwang, der politisch- und sozialökonomisch passende Zeitpunkt und der gesellschaftliche Druck als Erster die Ziellinie zu überschreiten (oder eine Deadline einzuhalten) verleiten manch einen Autor, seine maßgebliche Autorenschaft abzutreten und schlussendlich seine Authentizität preiszugeben.

Wenn man als Bildschaffender den Einfluss jener virtuellen Umwelt auf den eigenen kritischen Blick zulässt, darf man nicht außer Acht lassen, dass dieser, im Gegensatz zum persönlichen Austausch, ohne Vor- und Rücksicht oder Selbstbezug des Gegenübers funktioniert. Die Wahrnehmung von Fotografie und ihre Bewertung mündet dadurch in eine durch Massenmedien hergestellte „unausgelesene Öffentlichkeit“5Nietzsche, Friedrich: Nachgelassene Fragmente, in: KGW III 3, S. 264, die die ursprüngliche Absicht des Autors zunichte machen kann.

Hin- und Hergerissen zwischen der Angst vor Vereinsamung und der Furcht vor Vereinnahmung, unterliegt das Individuum auch einem Konformitätsdruck, aber selbst im Einklang mit der öffentlichen Meinung entsteht eine unausweichliche Polarisierung beim Einzelnen. „In der Einsamkeit frisst sich der Einsame selbst auf, in der Vielsamkeit fressen ihn die Vielen. Nun wähle.“6Nietzsche, Friedrich: Menschliches, Allzumenschliches II/1, §348, S.156

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    Nietzsche, Friedrich: Also sprach Zarathustra. – Von den Fliegen des Marktes, in: KGW VI 1, S. 61
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    Die Unterscheidung formulierten Wilson, Francis G.:, in: A Theory of Public Opinion, 1962, S. 276 und Braatz Kurz, in: Friedrich Nietzsche Eine Studie zur Theorie der Öffentlichen Meinung, S. 58 ff.
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    Eibach, Joachim, Tasten und Testen: Alexander von Humboldt im Urwald, in: Zeitenblicke 11, Nr. 1
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    Steve McCurry wird mit über 1,8 Millionen Followern beschrieben: Backhaus, Anne: Zu schön, in: Süddeutssche Zeitung, 16.12.2016
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    Nietzsche, Friedrich: Nachgelassene Fragmente, in: KGW III 3, S. 264
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    Nietzsche, Friedrich: Menschliches, Allzumenschliches II/1, §348, S.156