Alexander Hagmann & Eugen Litwinow

Interview mit Der Greif

Im Juli 2008 als Magazin von Felix von Scheffer und Simon Karlstetter gegründet, besteht das derzeitige Kurationsteam um Der Greif aus Simon Karlstetter, Leon Kirchlechner, Matthias Lohscheidt und Claudio Ricci. Basierend auf dem Grundprinzip der Rekontextualisierung fotografischer und literarischer Arbeiten, wurde der Greif inzwischen auch auf eine Online-Plattform und aktuell ebenso um eine Ausstellungskonzeption erweitert.

Alexander Hagmann und Eugen Litwinow führten mit Leon Kirchlechner das Gespräch über die Entwicklung und die Ziele des Magazins.

WIE KAM ES DENN ÜBERHAUPT ZU DEM FORMAT GREIF UND WAS
WAR DIE MOTIVATION DAHINTER?

Die Idee für das Magazin hatte Felix von Scheffer. Er rief eines Nachmittags an und schlug vor, ein Fotomagazin zu machen. Die Grundidee war, Fotografien von Freunden und Bekannten wieder greifbar zu machen, die sonst nur auf irgendwelchen Festplatten gammeln. Am Anfang war es eine sehr regionale Geschichte von rund 20 Leuten aus der Gegend am Ammersee. Immer wenn wir unterwegs waren, haben wir das Magazin verschiedenen Leuten und Hochschulen gezeigt, und so hat sich das Ganze verbreitet. Jetzt haben wir mittlerweile Einreichungen aus der ganzen Welt.

EUER TEAM BESTEHT DERZEIT AUS VIER PERSONEN. WIE KAM ES ZU DIESER FORMATION?

Simon und ich [Leon] haben uns während des Studiums in Augsburg kennengelernt. Matthias kam ein paar Semester später auch nach Augsburg. Alle haben ursprünglich Kommunikationsdesign bzw. Multimedia studiert. Simon und ich haben dann noch den Master, ein sehr freies Aufbaustudium, absolviert. Claudio, der zuvor Economics and Management in Bozen sowie Marketing Management in München studiert hat, ist letztes Jahr dazugekommen.

IHR HABT INZWISCHEN EINREICHUNGEN AUS DER GANZEN WELT. GIBT ES DADURCH EINE
ANDERE GRUNDHALTUNG ZUR „MARKE“ DER GREIF? UND HAT SICH EURE ANFÄNGLICHE MOTIVATION INZWISCHEN GEÄNDERT?

Klar, die Motivation hat sich geändert. Am Anfang ging es einfach darum, etwas zu machen, ohne zu wissen, wie das Resultat aussehen würde. Wir haben im Nachhinein viele Konzeptpapiere für das Magazin geschrieben, um selbst zu verstehen, was wir da eigentlich tun. Wir haben für uns herausgefunden, dass es einfach spannend ist, Arbeiten verschiedener Autoren, sei es Fotografie oder Lyrik, zusammenzuführen. Das Spiel mit dem Kontext, das Ent- und wieder Rekontextualisieren ist ein sehr spannender Prozess. Das ist sicherlich auch interessant für die Fotografen, wenn sie ihre Arbeiten auf einmal in einem anderen Kontext sehen,der vielleicht gar nicht ihrer ursprünglichen Intention entsprach. Man kann durchaus diskutieren, dass ein Bild erst durch seinen Kontext eine Bedeutung bekommt. Das ist auch der Grund, weshalb wir für die Einreichung kein Thema vorgeben. Die Vielfalt der Einreichungen ermöglicht uns einen viel größeren Spielraum, diese Bilder neu zu interpretieren.

WARUM NICHT AUCH DIE DARSTELLUNG IM NETZ?

Wir wollten diverse Medien dafür benutzen, wofür sie gut geeignet sind. Bei einem gedruckten Magazin spielt die Langsamkeit eine wichtige Rolle. Man beschränkt alles auf eine bestimmte Menge an Bildern. Das Netz bietet ja tausend Möglichkeiten auf Links zu klicken oder vielleicht noch währenddessen eine andere Seite zu besuchen. Durch ein physisches Magazin ist man einfach schon mal gebremst. Und das ist wichtig. Nur dafür lohnt es sich auch, so viel Arbeit reinzustecken. An einer Ausgabe arbeiten wir knapp fünf Wochen: drei für das Layout und zwei für die Auswahl. Für eine reine Online-Publikation im Netz, wo alles so schnelllebig ist, würde sich eine solche Detailarbeit gar nicht lohnen.

NATÜRLICH IST DAS IMMER EINE FRAGE DER UMSETZUNG. IM HEFT BENUTZT IHR JA AUCH EINE CLUSTERARTIGE ANORDNUNG, UM BILDER DARZUSTELLEN ODER ZU VERNETZEN. DIE IDEE DER VERNETZUNG IST IM INTERNET SICHERLICH NOCH GANZ ANDERS BENUTZBAR. KEINESWEGS SCHLECHTER, SONDERN NUR ANDERS.

Genau, es ist anders. Wir sehen unsere Onlinepräsenz ja auch nicht als reine Informationsplattform, sondern auch als einen Ort, wo Inhalte generiert werden. Das passiert vor allem in Form unserer Artist-Features. Hier werden im Wochenrhythmus Fotografen, die im Heft vertreten sind, mit einer Serie vorgestellt und dürfen auf unserem Blog posten. Während wir im Magazin nur einzelne Bilder zeigen, ist die Website somit eine Art Rückführung zum ursprünglichen Kontext und zu den einzelnen fotografischen Positionen. Das ist spannend, weil hier Querverweise zu anderen Arbeiten und Fotografen entstehen und die Website natürlich von mehr Leuten besucht, als das Magazin gekauft wird. Hier geht es wirklich um den informativen und kommunikativen Charakter und die Schnelligkeit, die das Internet bietet.

EINE WIEDERGUTMACHUNG.

Quasi.

EUER MAGAZIN LEBT JA DURCH DAS PRINZIP DERNEUKONTEXTUALISIERUNG VON BILDERN UND TEXTEN. WELCHEN STELLENWERT HABEN DIE GRAFISCHEN ELEMENTE, DIE IHR ZUSÄTZLICH EINBRINGT? WÄRE DAS MAGAZIN OHNE SIE NICHT VIEL KONSEQUENTER?

Durch das Layout und die Anordnung hoffen wir natürlich, dass man jede Ausgabe nicht nur ein Mal durchblättert, sondern immer wieder neue Dinge entdeckt. Zusätzliche grafische Elemente, wie eingescannte Asche oder ein Riss im Papier, geben dem Magazin noch so einen haptischen Zusatz, der die Bilder ein bisschen mehr mit dem Papier verbindet. Angedeuteter Dreck oder Rußflecken auf dem Papier spielen vielmehr mit dem Heft als Objekt und schaffen damit eine Verbindung. Es lockert das alles nochmal ein bisschen auf, weil es nicht so clean ist. Wir haben diese Elemente von Ausgabe zu Ausgabe immer weiter reduziert. Am Anfang waren sie viel stärker.

WELCHEN KRITERIEN UNTERLIEGT EURE AUSWAHL? WIE KOMMEN DIE DINGE ZUSAMMEN?

Im Laufe der Durchsicht bildet sich für uns ein Thema heraus. Dieses lässt sich dann aber nicht auf ein Wort oder einen Satz reduzieren. Es ist vielmehr eine Art Begriffswolke. Bei der letzten Ausgabe haben wir uns eine bestimmte Welt vorgestellt. Eine Welt und bestimmte Charaktere, die sich in dieser Welt bewegen. Wir schauen uns alle Einreichungen an und stoßen auf bestimmte Bilder, die wir dafür spannend finden. Wir entdecken bestimmte Geschichten und verbinden diese dann vielleicht mit einem anderen Bild. Für die letzte Ausgabe wurden 8.000 Fotos von ca. 1.000 Leuten eingereicht. Texte waren es weniger.

BEI DURCHSCHNITTLICH ACHT BILDERN PRO PERSON WERDEN SICHERLICH OFT SERIEN EINGEREICHT. WIE GEHT IHR MIT FOTOGRAFISCHEN GESAMTKONZEPTIONEN UM,
DIE IHREN SCHWERPUNKT NICHT
AUF DEM EINZELBILD HABEN?

Vom Prinzip her bleibt es immer das Gleiche. Im Grunde versuchen wir, den ursprünglichen Kontext für uns auszuklammern. Wir machen es oft so, dass Simon sich alle Infos und Konzepte durchliest, die bei den Einreichungen dabei sind und dann seine Auswahl macht. Ich hingegen schaue mir alles ganz unvoreingenommen als Einzelbilder an.

ABER WIE KOMMT ES DENN DAZU, DASS IHR DAS JEDES MAL IN EINER ÄHNLICHEN WEISE MACHT? DIESE CLUSTERARTIGE ZUSAMMENFÜHRUNG VON TEXT UND BILD ÄHNELT SICH IN JEDEM HEFT.

Wir fanden es spannend, im Laufe der Ausgaben immer bei demselben Konzept zu bleiben. Es lässt sich unendlich weiterspinnen. Natürlich haben wir versucht, von Ausgabe zu Ausgabe die Qualität zu steigern, und auch die Erfahrung im Umgang mit Bilden hat sich erweitert. Unsere Herangehensweise hat sich von Mal zu Mal verändert. Wir haben immer andere Kriterien für uns gehabt, wie wir da drangehen, wie wir Geschichten spinnen und wie die Auswahl getroffen wird. Inzwischen ist es jedoch an der Zeit, dass etwas ganz Neues passiert. Das ist ein sensibler Punkt, weil wir durchaus merken, dass wir inzwischen routiniert sind in dem, was wir machen und es Zeit ist, einen neuen Schritt zu gehen. Wir haben noch keine feste Idee wie die nächste Ausgabe aussehen wird, aber unser Plan ist es, so manchen Punkt neu zu denken.

INTERESSANT, DASS IHR AN DIESEM PUNKT IN EUREM SCHAFFENSPROZESS EINE AUSSTELLUNG INS LEBEN RUFT.

Genau. Die Ausstellung ist natürlich nochmal ein neuer Ansatz. Sie wird ähnlich funktionieren wie das Magazin, mit ein paar Unterschieden. Auch hier gibt es eine offene Einreichung. Wir werden zuerst anfangen auf Tischen mit verschiedenen Kombinationen zu spielen und später an einer weiteren Wand mit Hilfe von Beamern das Layout erarbeiten. Die Galerie wird jeden Tag anders aussehen. Wenn man als Besucher vorbeikommt, kann man durch Gespräche und Kommentare Einfluss auf den Prozess nehmen. Der Besucher soll erleben, was passiert, wenn man mit diesen Bildern spielt und sie unterschiedlich kombiniert. Und hoffentlich wird es dazu dann spannende Diskussionen geben.

Das Interview fand am 15. Januar 2014 per Videokonferenz zwischen Augsburg, Berlin und Düsseldorf statt. Abbildungen aus Der Greif #7.